Im Gespräch

Wie du dein Gehirn im Alltag smarter nutzt - Bent Freiwald im Interview

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© Markus Tedeskino

Unser Gehirn ist rund um die Uhr im Einsatz, selbst wenn wir uns zurücklehnen. Das schildern Sie im Buch anschaulich, indem Sie sich an einem normalen Tagesablauf orientieren. Was genau passiert etwa in unserem Gehirn, wenn wir den ersten Schluck Kaffee am Morgen nehmen?

Vielen verleiht Kaffee morgens erstaunliche Zauberkräfte. Unser Gefühl, wie wach oder müde wir sind, hat maßgeblich mit einem chemischen Stoff namens Adenosin zu tun. Das Molekül wirkt wie ein Bremspedal: Es dockt an spezifische Rezeptoren der Nervenzellen an und verlangsamt deren Aktivität. Die Folge? Man wird langsam, träge und unkonzentriert: müde eben. Normalerweise sammelt sich im Laufe des Tages im Gehirn immer mehr Adenosin an, deshalb werden wir abends müde. Außer wir trinken Kaffee (oder nehmen anderweitig Koffein zu uns)! Das Koffein im Kaffee ist in seiner Struktur dem Adenosin sehr ähnlich. Deshalb kann es sich auf die Rezeptoren setzen, auf die sich eigentlich Adenosin setzen würde. Weggegangen, Platz vergangen! Und schon kann Adenosin uns nicht mehr so stark ausbremsen – und wir werden nicht so schnell müde.

 

Was ist eine der faszinierendsten Eigenschaften des Gehirns, die Sie immer wieder in Staunen versetzen lässt und warum?

Die unterschätzteste Funktion des Gehirns ist wohl, dass es Vorhersagen treffen kann. Das funktioniert so: Mit allem, was wir wahrnehmen und tun, lernen wir ganz viel über uns und die Welt. Unser Gehirn nimmt all das und macht permanent Vorhersagen darüber, was als Nächstes geschehen müsste, wie die Kollegin reagieren könnte, welches Gericht mir schmecken wird. Und auch, welche Reaktion angemessen wäre. Wenn man einmal verstanden hat, dass fast alle Entscheidungen auf diesen Vorhersagen des Gehirns beruhen, merkt man auch: Wenn man ändert, was das Gehirn lernt, kann man auch die Vorhersagen ändern – und so sein eigenes Verhalten unbewusst beeinflussen. Wenn wir zum Beispiel bei Stress immer wieder zu Chips greifen, lernt das Gehirn: Chips reduzieren den Stress! Und macht dir beim nächsten Stress die Vorhersage: Du solltest Chips essen, das hilft! Wenn man diesen Automatismus kennt, kann man ihn durchbrechen. Man ersetzt die Chips durch etwas Gesünderes und verhindert so Ess-Attacken.

 

Das Gehirn ist ein komplexes Organ. Wenn Sie es in einem Bild beschreiben müssten, womit könnte man es am ehesten vergleichen?

Jedenfalls nicht mit einem Computer, wie es so oft getan wird. Die größte Schwachstelle dieses Vergleichs ist, dass Computer nahezu überall gleich gut funktionieren – egal, ob sie in einem Großraumbüro stehen oder zu Hause. Für unser Gehirn ist die Umgebung aber entscheidend. Den hilfreichsten Vergleich hat deshalb vielleicht die Wissenschaftsjournalistin Anne Murphy Paul gemacht: Das Gehirn ist wie eine Elster. Die bauen ihre Nester aus allem, was sie finden können. Und so geht es auch dem Gehirn. Das Denken entsteht nicht nur zwischen den Nervenzellen. Alles um uns herum – unser Körper, unsere Mitmenschen, unsere Umgebung – beeinflusst, wie wir denken. Sogar die Anzahl der Pflanzen im Raum kann beeinflussen, ob wir uns wohlfühlen und wie schnell wir Probleme lösen.

Markus Tedeskino
© Markus Tedeskino
Bent Freiwald

Bent Freiwald, 1993 geboren, hat Kognitionswissenschaften studiert und schreibt als Journalist für das Onlinemagazin Krautreporter . 2022 hat er den Newsletter Das Leben des Brain ins Leben gerufen, in dem er wöchentlich über Erkenntnisse aus der Hirnforschung ...

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