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Günter Wallraff zum Achtzigsten

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Günter Wallraff ist eine absolute Ausnahmegestalt. Mit seinen Büchern hat er das Land und die Gesellschaft nachhaltig verändert. Generationen von Journalistinnen und Journalisten weltweit berufen sich bis heute auf ihn, seine Methode hat sogar Eingang in Sprachen gefunden: Im Schwedischen nennt man es „wallraffa“, im Norwegischen „wallraffe“, wenn ein Journalist unter vorgetäuschter Identität recherchiert.

Günter Wallraffs Lebenswerk zu ehren in wenigen Zeilen ist unmöglich. Und es passt auch gar nicht zu diesem hochaktiven, engagierten großen Schriftsteller, sich allein mit der Vergangenheit zu beschäftigen, so spannend und wirkmächtig sie auch ist. In radikaler Selbstbeschränkung seien hier deshalb nur zwei seiner vielen bedeutenden Bücher herausgegriffen. Zwei Werke, die Geschichte geschrieben haben und die heute aktuell sind wie eh und je:

1. „Der Aufmacher“ von 1977: Günter Wallraffs Bericht aus dem Inneren der BILD-Zeitung, das Buch, „das Springer in die Knie zwang. Wer den „Aufmacher“ heute liest, begibt sich in den Maschinenraum eines Populismus, der uns heute - mehr denn je - die Sinne vernebelt. Und dessen Mechanismen die immer gleichen sind, auch wenn die Welt um uns herum gewandelt scheint“, so Georg Restle in seinem Nachwort zur gerade erschienen Neuausgabe.

2. „Ganz unten“, 1985 erschienen, ist mit über 5 Millionen verkauften Exemplaren der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzungen in 38 Sprachen bis heute das meistverkaufte Sachbuch der Nachkriegsgeschichte. Ein Meisterwerk des Investigativjournalismus, in dem Günter Wallraff von seinen Erfahrungen in seiner Rolle als sogenannter „Gastarbeiter“ Ali Levent bei seinen Einsätzen im Stahlwerk bei Thyssen, auf der Großbaustelle oder bei Mc Donald’s erzählt. Die Publikation von „Ganz unten“ im Jahr 1985 war ein Ereignis, das die Republik erschütterte: Alle, wirklich alle sprachen über dieses Buch. Ich erinnere mich, wie wir, ich war damals 16, uns auf dem Weg zur Schule die krassesten Stellen nacherzählt haben. Wie wir zu Hause mit den Eltern diskutierten. Wie beschämt wir waren. Die Publizistin und Autorin Mely Kiyak schreibt in ihrem berührenden Nachwort zur Neuausgabe von „Ganz unten“: „Sie [Günter Wallraff] schrieben gar nicht über „meine“ Leute, Sie schrieben über die Gauner, die Schlitzohren, die Ausbeuter-Alfreds da oben und in der Mitte und auch da unten. Sie rissen dem Fröhlichkeitsdeutschland mit seinen Karnevalsschnapsnasen, den fröhlich duselnden Erwins, dem Klimbimdeutschland sämtliche Maskeraden und Klamotten vom Leib. (…) Sie zeigten ein Stück Apartheid mitten in der Demokratie.“

Zum ersten Mal erlebte ich damals als Schülerin live und direkt, welch gesellschaftspolitischen Auswirkungen ein Buch unmittelbar haben kann. Welch wichtige Rolle einem Verlag zukommt, wenn er gemeinsam mit seinem Autor in unzähligen Prozessen vor Gericht die Pressefreiheit verteidigt, wie schon 1977 nach Erscheinen von „Der Aufmacher“.

Was mir beim Wiederlesen von „Ganz unten“ und „Der Aufmacher“ sofort wieder auffiel: Wie frisch, wie direkt, wie anschaulich die Sprache ist. Man ist sofort mittendrin in den Szenen, der Text vibriert vor Gegenwärtigkeit und hat ein untrügliches Gespür für Timing.

Die Bedeutung Günter Wallraffs für den Verlag kann ich gar nicht genug betonen. Wie Heinrich Böll, mit dem er herzlich verbunden war, prägt er das Selbstverständnis von Kiepenheuer & Witsch auf nachhaltige Weise. Günter Wallraffs Mut, sein Engagement, seine Unerschrockenheit, sein unermüdlicher Einsatz für die Meinungsfreiheit, für politisch verfolgte Autorinnen und Autoren (ob Wolf Biermann, Salman Rushdie oder Julian Assange, um nur einige zu nennen), sein Kampf für die Schwachen und Marginalisierten der Gesellschaft, sein Glaube an die Macht des Wortes sind für uns alle im Verlag ein Vorbild.

Wir verneigen uns vor Deinem Lebenswerk, lieber Günter, und wünschen Dir, dem großen Autor, Kämpfer, Künstler und unschlagbaren Tischtennischampion noch viele gesunde Jahre - und freuen uns auf viele weitere gemeinsame Bücher.

Sehr herzlich im Namen aller KiWi-Kolleg:innen,

Deine Kerstin (Gleba)

Alle Bücher von Günther Wallraff

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Günter Wallraff, Jahrgang 1942, lebt und arbeitet in Köln. Veröffentlichungen u.a.: Wir brauchen dich. Als Arbeiter in deutschen Industriebetrieben (1966; 1970 unter dem Titel Industriereportagen), 13 unerwünschte Reportagen (1969), Ihr da oben, wir da unten (mit Bernt Engelmann), Unser Faschismus nebenan (1975), die Dokumentation einer in Athen durchgeführten Protestaktion Wallraffs ...

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