»Alles geben« von Neven Subotić

Alles geben

Bestseller
Taschenbuch 14,00 €
Gebundene Ausgabe 22,00 €
E-Book 12,99 €

Ein Appell für mehr Gerechtigkeit im abgehobenen System Profifußball und in einer globalisierten Welt.

Dieses Buch erzählt von einem Sportler, den das kapitalistische System Profifußball groß machte, bevor er zum gesellschaftspolitischen Aktivisten wurde. Ein Plädoyer für mehr Bewusstsein und Gerechtigkeit in einer ungerechten Welt.

»Wenn ich den Menschen um mich herum geglaubt hätte, hätte ich mit zwanzig aufhören können, mich weiterzuentwickeln. Ich hatte großen Erfolg als Sportler. Ich hatte ein großes Haus. Ich hatte schnelle Autos. Ich hatte schöne Frauen. Ich kümmerte mich um die finanziellen Belange meiner Eltern. Ich machte auch ein bisschen Charity. Nur eine Sache hatte ich vergessen. Mich zu fragen: Neven, was möchtest du eigentlich? Wer möchtest du sein? Was soll dein Beitrag zur Gesellschaft sein? Diese Frage vor zehn Jahren und ich hätte nicht mehr herausgebracht als: Äh?«

Neven Subotić

Neven Subotić

Neven Subotić, geboren 1988, spielte als Fußballprofi u.a. bei Borussia Dortmund, dem 1. FC Köln und Union Berlin und arbeitet seit 2012 für seine Stiftung. Einmal im Jahr reist er nach Äthiopien und besucht die Projekte, von denen bisher über 200 abgeschlossen wurden. 

Leseprobe

Prolog: Zwei Jobs, zwei Konflikte

Die meisten wissen zwei Dinge über mich.

1. Ich bin Fußballer.

2. Ich habe 2012, als ich noch bei Borussia Dortmund spielte, eine Stiftung gegründet, die sich darum kümmert, dass Menschen in den ärmsten Regionen der Welt Zugang zu sauberem Wasser bekommen.

Dies führt in meinem Leben zu zwei Konflikten.

1. Ich habe in den vergangenen Jahren in meinem Job als Fußballer oft erlebt, dass ein Verantwortlicher im Verein auf mich zukam und sagte, dass ich mit meiner Stiftung mal den Ball etwas flacher halten und mich mehr auf das Spiel fokussieren sollte. Ich hätte verstanden, wenn man mir gesagt hätte: Du spielst schlecht, du arbeitest nicht hart genug. Darum schien es aber nicht zu gehen. Es ging allein um die Möglichkeit, dass ich schlecht spielen, unkonzentriert sein könnte; meine Arbeit für die Stiftung könnte mich vom Fußball ablenken, ein Scheitern im Konjunktiv. Wenn ich einen Fehler machte, lag die Begründung nahe: Das liegt daran, dass er sich zu sehr auf die Stiftung konzentriert. Während ich die Trainingszeiten in meinen Kalender auf dem Handy eingab, sagte bei einem Verein mal jemand zu mir: Warum hast du eigentlich einen Kalender? Hast du überhaupt noch Zeit zum Training? Ein Trainer, der erfuhr, dass ich einen Tag vor einem Spiel einen geschäftlichen Frühstückstermin in einem Café hatte, wollte von mir wissen: Warst du wirklich da? Eine Frage, die offensichtlich eine Unterstellung war, als hätte ich etwas Verbotenes getan. Ich glaube nicht, dass anderen Spielern nahegelegt wurde, nicht mehr Playstation zu zocken. Manche taten es sicher bis um drei Uhr nachts. Aber von mir, der darauf achtete, immer wenigstens acht Stunden zu schlafen, um morgens auf dem Platz in Topform zu sein, verlangte man eine Rechtfertigung.
Ich wurde der sogenannte andere Fußballer. Anders, weil ich etwas tat, was man nicht von vielen Fußballern kannte. Bei einer mehrstündigen Busfahrt oder bei Pausen im Hotel hatte ich meinen Laptop dabei, auf dem ich las, lernte oder arbeitete. Und in der Öffentlichkeit redete ich nicht nur über Trainingseinheiten, sondern über den globalen Zugang zu Wasser. Mein Verhalten und meine Themen wichen von der Norm ab, daher musste ich es begründen. Hätte ich so sein sollen wie alle anderen? War Videospielen Teil meiner Berufsbezeichnung? Hatte ich das im Vertrag überlesen und diese wichtige Anforderung verweigert? Anders zu sein ist schwer, denn es macht vielen Menschen Angst.

2. Als Fußballer und als Stiftungsleiter, von dem viele abgespeichert haben: Der tut Gutes, bekam ich in den vergangenen Jahren viele Anfragen, Bitten um Hilfe. Eltern erzählten von ihrem Kind, das schwer krank ist und so und so viele Euro für eine dringliche Operation benötigt. Auf so eine Frage antworte ich gewöhnlich: Es tut mir echt leid, aber ich kann das nicht machen. Ich lehne ab, obwohl es um etwas Existenzielles geht, es vielleicht lebensentscheidend sein kann. Ich mache mich damit nicht beliebt, und ich weiß, dass mich viele nicht verstehen: Warum macht er das denn nicht?, fragen sie sich. Warum nicht zumindest diese eine Sache? Was kostet es ihn denn? Sie haben recht, nicht so viel, ich könnte diese eine Sache machen, ich könnte sie mir leisten. Aber wenn ich so denke, dann gäbe es immer etwas für einzelne Personen zu tun: Einer sagt, ich habe mein Bein verloren, und braucht eine Prothese. Einer hat einen Hund, der unbedingt eine Operation benötigt. Es gibt auch Anfragen, die ich bekomme, die mich finanziell gar nichts kosten würden und die ich verweigere: einen Link auf Facebook teilen. Oder der Tochter ins Krankenhaus ein Video schicken. (Solche Anfragen bekomme ich allerdings nicht als Einziger, sondern zu dem Zeitpunkt, an dem mich das erreicht, haben es schon zehn andere Fußballer gemacht und meine elfte Nachricht würde meiner Meinung nach nicht wirklich viel bewirken.)
Meine Entscheidung in diesen Sachen basiert auf einer simplen, aber doch harten und unschönen Frage, die sich jeder für sich stellen kann: Was würde ich mit einem Euro machen, den ich am Ende eines Jahres übrig habe? Worein investiere ich den? Oder zeitlich betrachtet: Was mache ich mit einer Stunde, die ich übrig habe, wofür investiere ich die?
Es gibt Millionen von Sachen auf der Welt, für die man sich engagieren kann, und zweifelsohne sind viele von ihnen nicht falsch. Meine Antwort auf die Ein-Euro-Frage ist, dass ich nicht primär dazu beitragen möchte, dass Probleme, die einzelne Menschen in einem der reichsten Länder der Welt betreffen, gelöst werden. Ich möchte dazu beitragen, das bestehende Ungleichgewicht der Welt zu verringern. Mir geht es darum, über Jahre oder Jahrzehnte das Leben von mehreren Menschen zu verändern  – dies habe ich mit der Gründung meiner Stiftung als meinen Weg definiert. Von diesem weiche ich nicht ab – auch wenn das immer wieder herausfordernd ist. Es ist nicht einfach, einem Menschen, der vor dir steht und um 10000 Euro für eine Operation bittet, Nein zu sagen. Es ist leichter, Nein zu den Menschen zu sagen, die viele Tausend Kilometer von dir entfernt wohnen und aus einer Dreckpfütze trinken müssen. Statt aber einem Menschen das Geld für eine Operation zu geben, gebe ich das Geld lieber dafür, dass das Leben von 250 Menschen nachhaltig verbessert wird.
Ich habe keine Kinder. Aber ich kann mir vorstellen, dass es für Eltern das Schlimmste sein muss, wenn das eigene Kind an Krebs erkrankt und sie wütend werden, weil sie denken: Der muss doch nur einmal Klick machen, warum hilft er mir nicht? Es ist eine schwere Rechnung, aber am Ende des Tages kann ich mit dem Ergebnis der Kompromisslosigkeit am besten leben. Ich bin überzeugt, dass ich den größten Beitrag leiste, wenn ich mich auf eine Sache konzentriere, dass ich nur dann die größtmögliche Wirkung entfalte. Das ist der Grund, warum ich mich entschlossen habe, alles für meine Stiftung zu geben. Mein Geld, meine Zeit, meine Gedanken. Ich habe mich entschieden, meine Fußballkarriere zu beenden. Das gibt mir noch mehr Möglichkeiten, Wissen und Erfahrungen zu sammeln und es an andere Organisationen in diesem gemeinnützigen, globalen Sektor weiterzugeben, damit wir zusammen eine effektive Arbeit leisten und etwas bewegen. Dieser einen Aufgabe – dazu beizutragen, die Welt gerechter zu machen – will ich mich gänzlich hingeben.
Der Entschluss dafür war nicht auf einmal da, es war ein langer Weg dahin. Wie ich stolperte, umherirrte, auf Abwege geriet und letztlich meine Richtung fand – davon erzähle ich in diesem Buch.

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