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»Das Ende des Kapitalismus«: Ulrike Herrmann im Interview

Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden

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Das Buch ist das Ergebnis Ihrer zwanzigjährigen Beschäftigung mit Kapitalismus. Was fasziniert Sie so daran? Was ist falsch an unserem Bild vom Kapitalismus?

Der Kapitalismus ist faszinierend, weil er Wohlstand ermöglicht. Nur im Kapitalismus gibt es dauerhaftes Wachstum pro Kopf. Dieser Wohlstand hat auch immaterielle Folgen, die alle begrüßen: Dazu gehört die Demokratie, die Gleichberechtigung, eine breite Bildung oder eine steigende Lebenserwartung.

Falsch ist, dass der Kapitalismus oft mit Ausbeutung gleichgesetzt wird. Mit Sklavenarbeit, Kolonialismus oder dem Massenelend der Lohnarbeiter. Diese Unterdrückung und Knechtschaft war zwar weit verbreitet - aber sie war kein ökonomischer Sachzwang, sondern beruhte auf politischen Entscheidungen. Der Kapitalismus floriert am besten, wenn die Löhne hoch sind und mit dem technischen Fortschritt steigen. Das ist auch völlig logisch: Die Massen müssen gut verdienen, damit sie das nötige Geld haben, um die vielen Waren zu kaufen.

Der Kapitalismus hat allerdings eine zentrale Schwäche: Er benötigt Wachstum, um stabil zu sein. In einer endlichen Welt kann man aber nicht unendlich wachsen.

Der Kapitalismus hat doch bis jetzt auf alles eine Lösung gefunden. Warum sollte das bei der Klimakrise anders sein?

Diesmal wird uns die Technik nicht retten. "Grünes Wachstum" ist eine Illusion. Denn die Energieausbeute der Windräder und Solarpaneele wird nicht ausreichen, um eine permanente Expansion zu ermöglichen. Es wird auf "grünes Schrumpfen" hinauslaufen. Aber ohne Wachstum bricht der Kapitalismus zusammen.

Als Vorbild für eine klimaneutrale Form des Wirtschaftens nennen Sie die britische Kriegswirtschaft von 1940. Was kann man sich darunter vorstellen?

Das Problem ist, dass bisher kein Modell für ein "grünes Schrumpfen" existiert. Es gibt zwar viele Visionen, wie eine ökologische Kreislaufwirtschaft aussehen könnte, in der man nur noch verbraucht, was sich recyceln lässt. Aber es fehlt der Weg dahin. Wie soll man aus dem dynamisch wachsenden Kapitalismus in eine viel kleinere Kreislaufwirtschaft wechseln, ohne dass es unterwegs zu einer tiefen Krise mit Massenarbeitslosigkeit kommt, die die verzweifelten Menschen in die Arme eines rechtsradikalen Diktators treibt?

Eine Antwort könnte die britische Kriegswirtschaft bieten. Die Engländer hatten den Zweiten Weltkrieg nicht wirklich kommen sehen und mussten innerhalb von wenigen Wochen ihre Friedenswirtschaft schrumpfen, um in den Fabriken dann Militärgüter wie Munition, Radargeräte, Flugzeuge oder U-Boote herzustellen.

Die Briten entwickelten eine Art private Planwirtschaft. Der Staat gab vor, was produziert wurde - überließ es aber den Managern und Fabrikbesitzern, wie sie diese Ziele erfüllten. Zugleich wurden die knappen Konsumgüter rationiert, damit jeder das Gleiche bekam. Diese Rationierung war ungeheuer beliebt - weil sie gerecht war.

Eine ähnliche Zukunft steht uns bevor: "Grünes Schrumpfen" ist nur möglich, wenn der Staat Vorgaben macht und knappe Güter verteilt. Als erstes wird wahrscheinlich Wasser rationiert. Damit fangen einige Wasserwerke schon an.

Bis vor kurzem erschien es den meisten Deutschen völlig abwegig, über Rationierung nachzudenken. Aber durch den Ukraine-Krieg kommt das Thema zurück, wenn auch aus völlig anderen Gründen. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Staat im Winter das Gas zuteilen muss.

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Ulrike Herrmann

© Andrew James Johnston

Ulrike Herrmann, geb. 1964 in Hamburg, Ausbildung zur Bankkauffrau, Studium von Philosophie und Geschichte, Absolventin der Henri-Nannen-Schule. Seit 2000 Wirtschaftskorrespondentin der taz und Publizistin zu sozial- und wirtschaftspolitischen Themen. 2010 erschien ihr erstes Buch "Hurra, wir dürfen zahlen. Über den Selbstbetrug der Mittelschicht" im WestendVerlag. In Folge publizierte sie dort mit "Der Sieg des Kapitals", "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung", "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen" weitere Bücher, die sämtlich Bestseller geworden sind (im Schnitt 40.000 Exemplare pro Titel). In der letzten Zeit wird sie immer häufiger als Kommentatorin zu politischen Talkshows eingeladen (Phoenix-Runde, Maischberger, Lanz). Einen Namen gemacht hat sie sich nicht zuletzt mit ihren zahlreichen brillanten Vorträge zu Wirtschaftsthemen  bei Stiftungen, Instituten, Universitäten etc.