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Traudl Bünger über »Eisernes Schweigen«

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© Maya Claussen

Wie haben Sie vom Attentat Ihres Vaters erfahren? 

Dass mein Vater angeklagt war, in Italien Attentate verübt zu haben, war für mich immer ein offenes Geheimnis. Aber ich wusste nicht, ob er zu Recht oder zu Unrecht angeklagt war. Denn mein Vater hat nie mit mir darüber gesprochen. Weder hat er die Attentate zugegeben, sich erklärt oder verteidigt, noch hat er bestritten, sie begangen zu haben. Seine Reaktion auf jede Frage, ob wütend, dringlich oder neugierig, war immer nur ein tiefes Schweigen. Einmal habe ich als Kind einen Zeitungsartikel gelesen. Ich glaube, meine Schwester hatte ihn irgendwo gefunden. Ich habe nicht allzu viel verstanden, nur, dass meinem Vater vorgeworfen wurde, an mehreren Attentaten in Italien beteiligt gewesen zu sein. Nach dieser Lektüre habe ich versucht, mit ihm zu sprechen. Antworten bekommen habe ich nicht.


Wie war es für Sie, dem Geheimnis Ihres Vaters auf den Grund zu kommen?

Es war anspruchsvoll, befreiend und überfordernd. Puzzlestein um Puzzlestein habe ich Ermittlungen und Gerichtsunterlagen aus drei Ländern zu einem Bild zusammengesetzt. Ich war Ermittlerin, Historikerin und Tochter. Und fand bestätigt, was ich immer gespürt habe: Dass es etwas Großes, Dunkles und Beängstigendes im Leben meines Vaters gibt, das er vor mir verschloss. Etwas, das mit seiner rechtsextremistischen Haltung zu tun hat, das aber auch darüber hinausweist. Diese Erkenntnis war klärend und überfordernd zugleich und ist es immer noch. Denn was ich da rausgefunden habe, betraf ja nicht irgendwen, sondern meinen Vater, der für mich da gewesen ist, den ich liebe. Und den ich zugleich für seine Haltung und für seine Taten verurteile. Ein Widerspruch, kaum auflösbar.


Warum ist die Geschichte Ihres Vaters für heutige Leser*innen relevant?

Als Kind war ich zweimal in Ferienlagern des „Bund Heimattreuer Jugend“. In diesem Bund aktiv war auch der Initiator des Potsdamer Treffens vom November 2023, bei dem die Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund aus Deutschland diskutiert wurde. Diese Treffen stehen in einer langen Tradition, die ich heute kenne: Bereits wenige Jahre nach dem Krieg waren diese Netzwerke wieder da. Sie schufen Räume für Ideologie, zum Schmieden von Plänen, zum Vorbereiten von Aktionen: Angriffe auf die Demokratie, Ausgrenzung und Gewalt. Hier traf mein Vater als junger Mann Gleichgesinnte, mit denen er in den frühen Sechzigern nach Italien fuhr, um Attentate zu begehen. Diese Netzwerke sind nie verschwunden, sie haben Erinnerungskultur und Bewusstseinswandel überlebt und heute in der AfD sogar parlamentarische Wirksamkeit gewonnen. Meine Geschichte zeigt, wie gefährlich diese Strukturen von Beginn an waren und immer noch sind. Sie zeigt auch, wie der Staat im Umgang mit ihnen schlingert. Wie wichtig es ist, wachsam zu sein: im Hinschauen, im Urteilen und im Handeln. Als Staat und als Zivilgesellschaft.

 

Eisernes Schweigen

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Wie ist es, herauszufinden, dass der Vater ein Attentäter war? Traudl Bünger kannte ihren Vater als einen fürsorglichen Mann, auf den sie sich stets verlassen konnte, der aber auch rigide Meinungen hatte. Schon als Kind wusste sie, dass ihn ein Geheimnis umgab, über das er stets eisern schwieg. Nach seinem plötzlichen Tod beginnt sie, dieses Geheimnis zu lüften – und wird in die frühen Sechzigerjahre katapultiert.

Deutschland ist frisch durch die Mauer geteilt, Bundeskanzler Konrad Adenauer will die BRD als verlässlichen internationalen Partner etablieren. Da flammt ein Konflikt auf, der die junge BRD emotionalisiert und in dem auch Traudl Büngers Vater tatkräftig mitmischt. Im Herbst 1962 fährt er mit Gesinnungsgenossen nach Italien. Ziel der Mission: Völkerrechtsverletzungen an »Volksdeutschen« in Südtirol brandmarken. Das Mittel: Sprengstoff. Das Ergebnis: Ein Toter und zahlreiche Verletzte.  

Was hat ihren Vater im Alter von 27 Jahren zu dieser Tat verleitet? Was für ein Mensch war er? Traudl Büngers Recherchen führen sie in zahlreiche Archive und in drei Länder. Sie beginnt, mit Angehörigen über das damalige Geschehen zu sprechen. Dabei blickt sie nicht nur in die Abgründe ihrer Familiengeschichte. Sie führt uns auch tief in die Historie der Bundesrepublik, des Kalten Krieges und seiner Propagandaschlachten. »Eisernes Schweigen« zeigt ein junges Land, das sich neu positionieren muss und dabei die Schatten seiner Vergangenheit konsequent übersieht – bis heute. 

Gebundene Ausgabe 24,00 €
E-Book 19,99 €
Traudl Bünger

Traudl Bünger

Traudl Bünger konzipiert seit 2004 Kulturveranstaltungen, u.a. als Programmleitung der Literatur- und Kulturfestivals lit.Cologne und lit.Ruhr sowie des Literatur- und Musikfestivals »Wege durch das Land«. Sie war Kritikerin im Literaturclub des Schweizer Fernsehens und lehrt und publiziert zu Themen der Kulturvermittlung, der literarischen Öffentlichkeit und Gegenwartsliteratur. Sie ist Mitglied der Jury des Heinrich-Heine-Preises. Gemeinsam mit Roger Willemsen schrieb sie den Bestseller »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort. Die Weltgeschichte der Lüge«. Bei Kiepenheuer & Witsch erschien zuletzt von ihr der Roman »Lieblingskinder«. Für die Arbeit an »Eisernes Schweigen« wurde sie vom Fritz-Bauer-Institut unterstützt, außerdem mit dem Wellershoff-Stipendium der Stadt Köln, dem Au- tor:innenstipendium der Kunststiftung NRW und dem Arbeitsstipendium des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW ausgezeichnet. Traudl Bünger lebt in Köln.