In allen deinen bisherigen Romanen scheinst du dich besonders für die Beziehungen von Frauen untereinander zu interessieren, seien es Mütter und Töchter, Schwestern usw. Ist das der Fall und ist es vielleicht deine Art, die Aufmerksamkeit auf die heutige gesellschaftliche Situation von Frauen zu lenken?

Es ist wahr, ich interessiere mich für Frauen und ihre Beziehungen, sowohl in der Familie als auch in Freundschaften. Das war mir gar nicht bewusst, bis ich anfing zu schreiben. Allerdings habe ich einen Abschluss in Soziologie, und ich habe mich immer schon für Menschen interessiert, was sie antreibt und auch für die Idee von guten und schlechten Menschen. Als ich anfing, mein erstes Buch zu schreiben, hatte ich keinen festen Plan, ich habe nur aufgeschrieben, was mich interessiert und inspiriert hat, habe die Geschichte sich entfalten lassen. Danach erst wurde mir klar, dass ich eine Tendenz habe, über Beziehungen von Frauen zu schreiben, zumindest in den ersten beiden Büchern. Vielleicht resultiert es aus meiner eigenen Erfahrung als Frau, aber es hat mich immer schon interessiert, wie eine Gesellschaft Geschlechterrollen formt. Von Frauen wird erwartet, dass sie mütterlich sind, freundlich, emotional und fürsorglich. Aber nicht auf jede Frau passt dieses Konzept. Dasselbe gilt für Männer. Sie sollen stark und männlich sein, die Ernährer und möglichst wenig Gefühle zeigen.

 

 

 

Die Männer in meinem Leben waren nie so, zumindest nicht komplett, und ich denke man richtet viel Schaden an, wenn man kleinen Jungen erzählt, dass sie nicht weinen oder über ihre Gefühle sprechen dürfen. In meinen ersten beiden Büchern habe ich mich auf weibliche Beziehungen konzentriert, tatsächlich aber interessieren mich beide Seiten, und ich schreibe gern über Leute, die nicht in diese von der Gesellschaft kreierten Rollenbilder passen. Ich versuche Figuren zu erfinden, die vielleicht mit diesen sozialen Normen zu kämpfen haben, und besonders interessiert mich dabei die Rolle der Mutter. Was passiert, wenn man nicht fürsorglich ist, wenn man nicht so fühlt, wie man soll, und wie ist es, mit solch einem wenig gefühlvollen Elternteil aufzuwachsen? Was für eine Persönlichkeit wird man? Es ist die ewige Diskussion um Natur oder Kultur – wird man zum Mörder gemacht oder als solcher geboren? Gibt es so etwas wie gute und schlechte Menschen, oder sind wir nicht alle eine Mischung aus beidem.

 

Das Lavafeld von Grabrók und seine trostlose, aber Ehrfurcht gebietende Umgebung erscheint wie der perfekte Tatort. Weißt du, ob dort tatsächlich Verbrechen passiert sind?

Nicht in Grábrókarhraun direkt, aber es hat mal einen Mordfall in Island gegeben, wo eine Leiche in einem Lavafeld in der Nähe von Reykjavík versteckt wurde. Es war unmöglich, sie zu finden, und am Ende musste die Polizei an den Ort geführt werden, wo die Leiche verborgen war. Ein Lavafeld ist ein perfektes Versteck, nicht nur bei Mordfällen. Leute sind verschwunden, buchstäblich vom Erdboden verschluckt. Es gibt einen Fall in Island, wo ein älterer Mann beim Beerenpflücken mit seiner Familie gestürzt ist und verschwand. Man wusste, wo ungefähr es passiert war und hat tagelang nach ihm gesucht. Trotzdem wurde er nie gefunden. Ich glaube, es gibt Risse in Islands Lavafeldern, die so tief reichen, dass es unmöglich wird, irgendetwas zu finden, das hineingefallen ist. Tatsächlich gibt es in Island viele solcher Fälle von Vermissten, die nie aufgeklärt worden sind. Und als Krimiautor fragt man sich da natürlich schnell, wie viele Überreste vielleicht noch in Islands zahlreichen Lavafeldern verborgen sind.

 

Lust auf mehr Spannung?

Mit unserem Krimi-Newsletter informieren wir Sie über aktuelle Krimi-Neuerscheinungen und versorgen Sie mit zusätzlichen Informationen zu Schauplätzen, zu den Autorinnen und Autoren sowie mit Interviews und Gewinnspielen.

Hier zum Krimi-Newsletter anmelden