»Das neunte Gemälde« - Das Krimi-Debüt von Andreas Storm

Eine Leiche in einem Bonner Hotel. Ein geheimnisvolles Gemälde. Und eine Spur, die den Ermittler an die Abgründe der jüngeren europäischen Geschichte führt – und an die seiner eigenen Familie. Das neunte Gemälde ist der erste Band einer packenden Krimireihe um den Kunstexperten Lennard Lomberg.

Bonn im April 2016. Kunstexperte erhält Lennard Lomberg einen mysteriösen Anruf. Ein Mann namens Dupret drängt ihn, die Rückgabe eines verschollenen Gemäldes zu organisieren. Kurz darauf ist Dupret tot. Vom Gemälde fehlt jede Spur. Und Lomberg gerät ins Visier des BKA. Die Ermittlungen zeigen, dass der mutmaßliche Picasso mit der Geschichte von Lombergs Vater, einst Wehrmachtssoldat, später Generalbundesanwalt der BRD, verbunden sein könnte. Lomberg begibt sich auf die Suche nach dem neunten Gemälde und damit auf eine Zeitreise, die ihn mit einer ungeheuerlichen Wahrheit konfrontiert. Er muss das Gemälde finden. doch die sich anbahnende kunsthistorische Sensation ruft skrupellose Gegenspieler auf den Plan, die über Leichen gehen, um ihm zuvorzukommen. 

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Wo trifft Lennard Lomberg seinen Freund und Mentor Peter Barrington und den Kunstdetektiv Carl Deveraux, um mehr über den Fall zu erfahren?
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Mittwoch, 11. Mai 2016, 12:45 Uhr, Weingut Clos des Pins, Beaumes-de-Venise, Département Vaucluse, 1 Chemin des Galets Rouges

Frühling in der Provence. Der Mistral fegte mit achtzig Kilometern pro Stunde durch das Rhône-Tal. Und das ohne Unterlass schon seit drei Tagen. In der Kleinstadt Beaumes-de-Venise, derart malerisch nahe des Mont Ventoux gelegen, dass es fast schon kitschig war, hatte Peter Barrington im Frühjahr 2009 – praktisch auf dem Höhepunkt der europäischen Finanzkrise – das Weingut Clos des Pins gekauft und war hierdurch nebenbei auch noch zum Winzer geworden. Lomberg zögerte seinerzeit keine Sekunde, seinen Freund zu dieser Investition zu ermutigen. Über viele Jahre war es der große Traum von Susan Barrington gewesen, einmal ein eigenes Weingut zu betreiben, und Lomberg fand es großartig, als Peter ihm offenbarte, diesen Traum für seine verstorbene Frau nun ausleben zu wollen.

Von einem Notverkauf war die Rede, es hieß, Barrington hätte das zweiundzwanzig Hektar große Weingut plus eine dazugehörige vier Hektar große Parzelle in der Nachbar-Appellation Plan de Dieu für unter einer Million Euro erwerben können. Man war sich aber auch sicher, dass mindestens nochmals die gleiche Summe aufgewendet worden war, um den Laden wieder auf Vordermann zu bringen. Ganz der Unternehmer, sorgte Peter gleich nach dem Erwerb von Clos des Pins für eine Trennung von Grundbesitz und Betrieb des Weingutes und übergab Letzteren in die versierten Hände des mit ihm befreundeten Önologen Hector Saumanes. Zum weitläufigen Areal von Clos des Pins gehörten auch vier sogenannte Gîtes. Die ehemaligen Scheunen ließ Peter zu komfortablen Ferienwohnungen umbauen. Eine davon hatte sich Lomberg frühzeitig gesichert und dort einen persönlichen Rückzugsort geschaffen.

Die Männerrunde war nach einem himmlischen Confit de Canard mit Pommes Salardaises, von Hectors Frau Martine zuvor ganz unkompliziert in der Küche serviert, ins Kaminzimmer umgezogen. Inspiriert vom heimischen Reform Club auf der Pall Mall diente Peters Refugium als bevorzugter Ort für besonders wichtige, mithin besonders diskrete Gespräche und seit einiger Zeit auch als Heimat seiner respektablen Bibliothek. Die Sitzordnung musste nicht groß verhandelt werden, es war unstrittig, dass der zentral positionierte Ohrensessel dem Gastgeber vorbehalten war. Lomberg und Deveraux justierten zwei der weniger ausladenden Clubchairs so, dass eine äquidistante Dreieckssituation entstand. Peter deutete auf den Tisch-Humidor, aber die beiden Gäste lehnten dankend ab. Deveraux griff in die Innentasche seines Goldknopf-verzierten Clubsakkos und legte eine Packung Players Navy Cut auf den Tisch. Sehr zur Freude von Lomberg, der dies mit einem anerkennenden Kopfnicken quittierte und sich gleich bediente. Peter eröffnete schließlich das Gespräch.

»Lenn, unser geschätzter Freund Carl ist natürlich die einzige Person, die ich auf diese leidliche Sache bisher angesprochen habe, versteht sich. Er ist zwar nur der zweitbestinformierte Mann der Kunstszene, im Gegensatz zu mir aber ein verschwiegener Gentleman.« Peter Barringtons unverhohlene Eitelkeit war stets von der nötigen Brise Selbstironie umweht. Der eine oder andere wohlkalkulierte Witz auf eigene Kosten gehörte dabei zum festen Repertoire und diente beim Einstieg in ernsthafte Gespräche als oft bewährte Lockerungsübung. »Wie es scheint, Lenn, kann Carl tatsächlich Interessantes berichten. Ich bin gespannt, Carl. Legen Sie los!« Deveraux wandte sich Lomberg zu: »Lennard, ich möchte zunächst sagen, wie sehr ich mich freue, dass wir uns kennenlernen. Und das an diesem wunderschönen Ort. Unser großzügiger Gastgeber hat schon oft von Ihnen und Ihrer bemerkenswerten Arbeit bei Christie’s und jetzt für Walcott berichtet.« »Danke, Carl. Die Freude ist ganz meinerseits.« »Lennard, Ihre Freunde nennen Sie Lenn, nicht wahr? Darf ich Sie auch Lenn nennen?« »Selbstverständlich.« »Nun, wie es aussieht, scheinen wir neben der gemeinsamen Bekanntschaft mit Sir Peter eine weitere, wie soll ich sagen, Schnittmenge zu haben.« »Wollen Sie damit andeuten, diesen Dupret tatsächlich zu kennen?« »Nein. Das nicht. Ich kann womöglich das eine oder andere beitragen, um etwas Licht ins Dunkel zu bringen. Aber nein, ich kenne ihn nicht. Beziehungsweise … ich habe ihn nicht gekannt. Muss man in diesem Fall ja sagen.« »Korrekt.« »Peter erzählte mir von Ihren Unannehmlichkeiten mit der deutschen Polizei. Wie überflüssig, möchte ich sagen. Wir alle haben ja schließlich genug zu tun, nicht wahr?« »Sie sagen es, Carl!« »Möchten Sie mir vielleicht erst mal berichten, was dieser Dupret eigentlich von Ihnen wollte?«

Lomberg schilderte ein weiteres Mal Verlauf und Inhalt des denkwürdigen Telefonats vom 22.April. Wie schon bei der Vernehmung durch das BKA ließ er dabei wichtige Details aus. Allen voran Duprets Andeutung, dass das besagte Gemälde in einer wie auch immer gearteten Verbindung zu Lomberg selbst stehen würde. Weder war es Lomberg zuträglich erschienen, Kriminalrätin Röhm unnötige Nahrung für ihren nachvollziehbaren, aber unbegründeten Verdacht zu liefern, noch hielt er es zum jetzigen Zeitpunkt für ratsam, dem kanadischen Kunstdetektiv mehr zu erzählen, als notwendig war. Unerwähnt blieb auch die Information, dass die ominöse Stiftung angeblich schon erwog, Artclaim in der Angelegenheit einzuschalten. Umso mehr, da Dupret dies aus irgendeinem unerfindlichen, aber vermutlich wichtigen Grund zu verhindern versucht hatte. Lomberg beschränkte sich auf die fast schon lapidare Feststellung, dass Duprets Kontaktaufnahme allein dem Umstand seiner allgemein bekannten Expertise zum Thema Beutekunst geschuldet war und auch lediglich den Wunsch nach einem fachlichen Austausch zum Ziel hatte. Peter war auf diese verkürzte Version gebrieft und hatte Deveraux im Vorfeld somit auch nur mit den gröbsten Fakten angefüttert. Der Kanadier war Lombergs Ausführungen aufmerksam gefolgt und begnügte sich einstweilen, diese mit stetig wechselndem Mienenspiel stumm zu kommentieren.

»Zunächst einmal danke, Lenn, dass Sie mich in dieser Sache überhaupt ins Vertrauen ziehen. Das ehrt mich.« »Peters Freunde sind auch meine Freunde«, entgegnete Lomberg knapp und erntete dafür allgemeines Kopfnicken. »Also, Gentlemen«, hob Deveraux an. »Den Namen Dupret kennen wir tatsächlich, sprich wir bei Artclaim.« Lomberg warf Peter einen überraschten Blick zu. Barrington erwiderte mit einem Lächeln und ließ eine Wolke Zigarrenqualm entweichen. Eine der typischen Inszenierungen von Herrschaftswissen, wie Lomberg sie von der grauen Eminenz gewohnt war. Was auch immer sich in der Szene zutrug oder auch nur als Gerücht durch die internationale Kunstwelt ging, es würde früher oder später, eher früher, im Kaminzimmer von Clos des Pins in vertrauter Runde besprochen werden.

»Erzählen Sie, Carl!«, drängte Lomberg. »Es war der 14.April. Dieser Dupret rief bei uns in Montreal an. Aus dem französischen Mobilfunknetz übrigens und verlangte den Chef zu sprechen. Also mich, was in der Regel nicht so ganz einfach ist. Aber er hatte Glück und mich nach einer Weile tatsächlich an der Strippe. Im Wesentlichen sagte er das, was er auch Ihnen mitgeteilt hat. Er deklarierte seine Kontaktaufnahme als erste Sondierung. Den Namen der Stiftung, die das Bild zurückführen wolle, nannte er nicht, was in einem solchen Fall aber auch nicht so unüblich ist.« »Was aber ab einem bestimmten Punkt natürlich Bedingung ist, um mit Ihnen, ich meine mit Artclaim, ins Geschäft zu kommen?«, hakte Lomberg ein. »Ja und nein. Natürlich brauchen wir einen Namen und eine Unterschrift auf dem Vertrag, den wir mit dem Mandanten schließen. Das kann aber auch ein Bevollmächtigter sein. Also zum Beispiel dieser Dupret.« »Theoretisch könnte diese ominöse Stiftung also im Hintergrund bleiben, wenn ihr daran gelegen ist?« »Theoretisch ja.« »Und praktisch?«

»Anders ist es uns natürlich lieber. Verschollene Kunstwerke wieder auffinden und zurückführen beziehungsweise die rechtmäßigen Besitzer zu identifizieren, ist das eine. Das andere ist es, die Geschichte der betroffenen Werke und damit auch die der damit verbundenen menschlichen Schicksale möglichst vollständig zu ergründen. Wir dienen ja nicht nur unseren Kunden, sondern auch der Öffentlichkeit und mithin dem kulturellen Erbe unserer Zivilisation.«

Lomberg schenkte Deveraux ein respektgebietendes Kopfnicken, entschied sich in diesem Moment jedoch, ihn nicht leiden zu können. Ein derartiges Pathos war ihm nicht nur von Grund auf unsympathisch, sondern auch verdächtig. Einige der FoPs waren tatsächlich auch Lombergs Freunde geworden, aber dass sich Deveraux diesem erlauchten Kreis tatsächlich zurechnen durfte, schien ihm zunehmend fraglich. »Wie war denn Ihr Eindruck von der Sache, Carl? Interessant genug, um das Ganze weiter zu verfolgen?«, hakte Barrington ein, der in den Rauchschwaden der Montecristo nur noch schemenhaft erkennbar war. »Zunächst einmal erschien es mir nicht so interessant. Zumal wir gerade mit der Modigliani-Sache ziemlich beschäftigt waren. Sicher davon gehört, Gentlemen?«

»Natürlich, lieber Carl«, entgegnete Peter, schenkte Calvados nach und warf Lomberg einen flüchtigen Blick zu. »Ein großer Gewinn für uns alle, dass der Sitzende Mann heimgekehrt ist. Die Kunstwelt ist Ihnen zu Dank verpflichtet, Carl«, schmeichelte Lomberg auf Bestellung und gab den Blick an Peter zurück, der sich still amüsierte. »Danke, das ist sehr freundlich von Ihnen«, erwiderte der Kunstdetektiv und schien dabei ein wenig von sich selbst ergriffen zu sein. »Sie sagten, dass Dupret zunächst nicht so interessant für Sie klang?« Lomberg wollte schnellstmöglich zum Thema zurück. »Richtig, Lenn. Zunächst. Dupret hat recht bald gemerkt, dass ich nicht jeder Sau hinterherlaufe, und kam schließlich ins Plaudern. Dann bot er mir endlich einen Appetizer an. Und der hatte es tatsächlich in sich. Das hat die Lage grundlegend verändert.« »Wollen Sie uns erzählen, was dieser Appetizer war?«

»Vermutlich erwarten Sie, dass er mir einen Hinweis gegeben hat, um welches Kunstwerk es sich handelt?« »Das wäre naheliegend«, kommentierte Barrington spöttisch. »Fehlanzeige. Dazu war ihm kein Wort zu entlocken. Außer, dass es ein Gemälde ist.« »Immerhin«, gab Lomberg ebenso sarkastisch zurück. »Dafür hat mir Dupret eine Geschichte erzählt.« »Wir sind ganz Ohr, Carl«, kam es aus Richtung des Ohrensessels. »Paris, 27.Mai 1943. Jeu de Paume. Das sagt doch allen was?«, hob Deveraux neu an und gab dem Kunsthistoriker Lennard Lomberg eine dankbare Steilvorlage. »Sechshundert Bilder im Feuer. Eine kunsthistorische Tragödie der Extraklasse, sagen die einen. Eine der größten Verarschungen aller Zeiten, sagen die anderen. Ich gehöre zu den anderen, die davon ausgehen, dass die Nazis nur alte Lumpen verbrannt haben.«

Monatelang hatte sich Lomberg im Zuge seiner Doktorarbeit mit dem legendären Fanal gegen die sogenannte Entartete Kunst befasst und dabei nicht nur ungezählte Dokumente gesichtet, sondern auch persönliche Gespräche mit Augenzeugen geführt, die 1993, immerhin fünfzig Jahre nach den Ereignissen in Paris, noch am Leben waren. Görings Vasallen hatten am 27.Mai 1943 kolportierte sechshundert zeitgenössische Gemälde zu Propagandazwecken öffentlich verbrannt und damit auch einen Jahrzehnte währenden Kunsthistorikerstreit entfacht. In dessen Mittelpunkt stand die bis in die Gegenwart nicht abschließend beantwortete Frage, welche Kunstwerke seinerzeit tatsächlich ihr Ende in den Flammen vor dem Jeu de Paume fanden. Lomberg war in seinen Studien zu der Ansicht gelangt, dass es sich mit allergrößter Wahrscheinlichkeit um ein inszeniertes Spektakel gehandelt hatte, bei dem mitnichten bedeutende Gegenwartskunst vernichtet wurde, sondern lediglich wertloser Zierrat. Wohl wissend, dass einige jener Kollegen, die genau das Gegenteil behaupteten, durchaus für seriöse Arbeit bekannt waren.

»Im Prinzip bin ich ganz bei Ihnen, Lenn. Allerdings gibt es schon länger die Vermutung, dass sich die Deutschen damals selbst ausgetrickst haben. Dass neben dem Haufen wertloser Ölschinken nämlich aus Versehen auch ein paar ganz außerordentlich bedeutende Gemälde verbrannt wurden.« »Diese These kenne ich natürlich auch. Es hat nur nie einen Beweis dafür gegeben. Deshalb war diese sogenannte These für mich nie mehr als ein Gerücht.« »Wenn Dupret nicht total übergeschnappt war, müssen wir diesem Gerücht womöglich doch eine Chance geben, Gentlemen. Er stellte nämlich die Behauptung auf, dass im Jeu de Paume tatsächlich etwas gründlich schiefgelaufen ist. Eine ganze Reihe von wertvollen Objekten aus einer Privatsammlung sei damals plötzlich verschwunden. Namen nannte er nicht. Nur, dass es sich um neun Gemälde handelte, die – und jetzt kommt es: irrtümlicherweise im Feuer landeten. Weil nämlich irgendein schlafmütziger Wachmann sie in einen falschen Lagerraum gebracht hatte. Und zwar in genau jenen Lagerraum, in dem der ganze Mist untergebracht war, der am Tag darauf bei Görings Flammenspektakel draufging.« »Und was sagt uns das jetzt?«, warf Lomberg wenig beeindruckt ein.

»Die Geschichte geht noch etwas weiter, Lenn.« Deveraux war aufgestanden, griff nach einem herumliegenden Holzscheit und warf ihn ins Kaminfeuer. An den Sims gelehnt, nahm er einen Schluck von seinem Calvados und ergriff wieder das Wort. »Das eigentlich Interessante ist der zweite Teil von Duprets Geschichte. Die besagten neun Bilder sollen nämlich nur zwei Tage vor der Verbrennungsaktion von der Kunstschutztruppe der Militärverwaltung im Jeu de Paume abgeholt und am Tag darauf wieder dorthin zurückgebracht worden sein.« »Geht die Geschichte noch weiter oder stehe ich auf der Leitung?« »Sie geht noch weiter. Die Bilder wurden ausgetauscht. Wenn Duprets Geschichte stimmt, hieße das, dass die Bilder vom Kunstschutz entwendet wurden und durch andere, vermutlich wertlose ersetzt wurden.« Peter schaltete sich ein: »Verstehe. Die Rosenberg-Leute im Jeu de Paume haben den Coup der Militärverwaltung nicht bemerkt, dann haben sie ihre Bilder verbrannt und als sie irgendwann feststellten, dass in der wertvollen Privatsammlung etwas fehlte, mussten sie davon ausgehen, dass sie versehentlich genau diese Bilder vernichtet haben. Weil der Wachmann geschlafen hat.« »Exakt, Peter. Besser hätte ich es nicht erklären können. Und in der Konsequenz wurden die Bilder aus dem Bestand ausgebucht und hatten somit offiziell aufgehört zu existieren. Sicher ahnen die Herren schon, worauf das nun hinausläuft?« Barrington und Lomberg nickten.

»So ist es. Eines der neun Bilder ist angeblich jenes, welches diese sogenannte Stiftung, die so gerne im Verborgenen bleiben möchte, jetzt zurückgeben will. Das jedenfalls behauptete Dupret.« Peter überließ Lomberg mit einer knappen Geste das Wort, der sich aber auch erst einen Moment sammeln musste. »Also wollte Ihnen Dupret weismachen, dass sich die Nazis selbst beklaut haben?«, schloss Lomberg schließlich, nach außen hin immer noch betont skeptisch, aber insgeheim schon leicht elektrisiert. »Sie müssen bedenken, Lenn, Nazi war nicht gleich Nazi. Es gab 1943  ganz sicher ein paar Deutsche in Paris, die schon mal für die Zeit danach vorsorgen wollten. Und dabei nicht mehr unbedingt vom Endsieg ausgingen. Und dass es solche Leute auch beim Kunstschutz beziehungsweise in der Militärverwaltung gegeben hat, ist plausibel. Dort gab ja die Wehrmacht den Ton an, nicht die Partei.« »Das ist doch wie im Film!«, kam es aus Peters Ecke, begleitet von einem schallenden Gelächter. »Das kann sich doch kein Mensch mal so eben ausdenken! Wenn das erst der Appetizer war, bin ich gespannt, wie es mit der Hauptspeise weitergeht.« »Mit der Hauptspeise kann ich nicht dienen, Gentlemen. Aber einen Zwischengang gäbe es noch. Dupret hat uns zumindest noch ein ziemlich spektakuläres Detail serviert.« »Wir sind ganz heiß auf Details.« Lomberg nickte und schwieg.

»Wie wir alle wissen, haben es die Besatzungsmächte bei der Entnazifizierung ja nicht gerade übertrieben.« »Gewiss nicht«, bemerkte Lomberg giftig. »Und wir Deutsche waren auch nicht so besonders eifrig beim Ausmisten des Stalls.« »Eben. Und weil das so war, konnten viele Männer, die vorher in der Partei und sogar in der SS waren, im Nachkriegsdeutschland schnell wieder Fuß fassen. Man brauchte für den Wiederaufbau ja Leute, die was vom Geschäft verstanden: Ärzte, Wissenschaftler, Ingenieure. Natürlich auch Polizisten  – und nicht zuletzt Juristen.« Deveraux’ Geschichtsstunde endete abrupt. Anstatt weiterzusprechen, warf er Lomberg einen fast schon provozierenden Blick zu, als würde er eine unmittelbare Reaktion auf das Gesagte erwarten. Lomberg ließ den Moment wortlos verstreichen und hielt Deveraux’ Blick stand.

»Das ist eine wirklich faszinierende Geschichte, von der Sie uns da berichten. Nicht wahr, Lenn?« Lomberg bestätigte mit einem stummen Nicken, war gedanklich aber ganz woanders. »Erzählen Sie doch bitte weiter, mein lieber Carl!« Barrington hatte die für alle spürbare Irritation, die das Kaminzimmer von Clos des Pins kurzzeitig erfüllte, mit einer lässigen Geste neuerlicher Ehrerbietung für den kanadischen Meisterdetektiv gekonnt überspielt. Bereitwillig fuhr Deveraux fort: »Dupret stellte die ausgesprochen steile These auf, dass es eine direkte Verbindung vom Jeu de Paume 1943 in den späteren Sicherheitsapparat der jungen BRD gegeben hat. Und dass der damalige Diebstahl in all den Jahren als eine Art Staatsgeheimnis gehütet wurde.« »Staatsgeheimnis oder Staat-im-Staat-Geheimnis?«, kam es aus Barringtons Ecke. »Genau diese Frage haben wir dann auch gestellt.« »Und was hat unser Monsieur Dupret darauf geantwortet?« »Dass er sich dazu nur unter vier Augen äußern würde.« »Sie haben den Kerl etwa getroffen?« »Ich bot ihm ein Gespräch für die dritte Maiwoche an. Also praktisch jetzt für diese Zeit irgendwann. Ich wusste ja schon, dass ich in Europa sein würde. Das passte Dupret aber nicht. Er hatte es eilig. Er wollte einen Termin innerhalb von zehn Tagen. Südfrankreich, meinte er, wäre sein Standort. Daraufhin fiel mir ein, dass einer meiner Mitarbeiter, John Ellis, gerade in Marseille zu tun hatte. Ich schlug ein Treffen mit ihm am 19.April vor. Dupret willigte ein. Das war also drei Tage vor seinem Anruf bei Ihnen, Lenn, wie sich heute herausgestellt hat. Sie sagten doch, dass es der 22. gewesen ist, nicht wahr?« »Korrekt, Carl. Am 22.«

»Dupret nannte dann seinen gewünschten Treffpunkt. Gleich hier um die Ecke übrigens. In Avignon.« Barrington und Lomberg stutzten, »Avignon?« »Ja, Avignon. Genauer gesagt, am Bahnhof von Avignon.« »Kam Ihnen das nicht seltsam vor?«, fragte Lomberg mit einiger Verzögerung. »Wie meinen Sie das, Lenn?« »Na ja, vielleicht wollte er mit diesem Treffpunkt ja irgendwas andeuten?« »Worauf wollen Sie hinaus? Hätten Sie eine Vermutung?« Deveraux starrte Lomberg mit merkwürdiger Neugier an. Etwas ging hier gerade vor sich. »Nein, das nicht«, wich Lomberg aus. »Hätte er den Bahnhof von Perpignan ausgesucht, würde ich auf Dalí tippen. Sie wissen schon, die halluzinatorische Vision vom Zentrum der Welt«, dozierte Lomberg jetzt mit vorgetäuschter Heiterkeit. Ein flüchtiger Blickkontakt mit Peter bestätigte, dass dieser ebenso aufgehorcht hatte. »Na ja. Spielt jetzt auch keine Rolle mehr.« »Pardon, Carl. Was spielt keine Rolle mehr?« »Der Treffpunkt war dann egal.« »Ich verstehe nicht?« »Das Treffen kam nicht zustande. Ellis war schon auf dem Weg nach Avignon und bekam plötzlich eine SMS von Dupret. Er ließ ihn wissen, dass sich die Lage geändert hätte. Er würde sich wieder melden. Ende der Durchsage.« Lomberg und Barrington blickten einander an und schüttelten entgeistert den Kopf. »Holy shit!« »Der Mann ist wirklich ein Rätsel.« »Das können Sie wohl sagen«, bestätigte Deveraux zerknirscht. »Noch einen Schluck, Lenn?« »Danke, Peter. Für mich nicht.« »Carl, was ist mit Ihnen?« »Ich nehme gerne noch etwas«, antwortete Deveraux schon wieder überraschend heiter und griff nach der kühl gestellten Flasche Viognier. »Ich war natürlich stinksauer auf diesen Dupret. Wir haben dann auch noch mal versucht, ihn telefonisch zu kontaktieren. Aussichtslos. Prepaid. Auch eine Namensrecherche hat nichts gebracht. Rund vierhundert Gilles Duprets in Frankreich und Belgien. Und in Kanada auch noch ein paar Dutzend. Ein Allerweltsname. Keine Chance. Nach ein paar Tagen war die Sache abgehakt. Ich hatte beim besten Willen nicht mehr damit gerechnet, je wieder etwas von einem Gilles Dupret zu hören.« »Aber dann rief Peter an und erzählte von meiner Geschichte …« »So ist es, Lenn. Dann rief Peter an …«

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