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Drei Fragen an Stefanie de Velasco »Das Gras auf unserer Seite«

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© Joachim Gern

Drei Fragen an Stefanie de Velasco

 

Die Protagonistinnen deines neuen Romans zeigen auf, dass es jenseits der traditionellen Kernfamilie auch viele andere, selbst gewählte Familienformen geben kann. Wie interpretierst du persönlich den Begriff »Familie«?

Familie wird immer noch mit Blutsverwandtschaft und Herkunftsfamilie gleichgesetzt. Dort haben alle eine starre Rolle zu erfüllen, aus der es kein Entrinnen gibt. Das ist nicht nur quälend, sondern auch fad. Für mich sind meine Freundschaften viel wichtiger. Dort erfahre ich Nähe und Akzeptanz. Auch diese freundschaftlichen Beziehungen muss ich pflegen. Dafür erlebe ich nicht nur Geborgenheit, sondern auch Freiheit und Gleichberechtigung. 

Ein in der Gesellschaft noch oft tabuisiertes Thema ist die Situation, wenn Frauen sich bewusst gegen ein Kind entscheiden. Was hat dich dazu bewogen, diese Thematik aufzugreifen?

Keine Kinder haben ist ja ein bisschen wie nicht an Gott zu glauben. Leider gibt es keine Kirchen für Menschen, die nicht an Gott glauben, die wären so viel voller als die echten Kirchen. Viele Frauen verspüren einen starken Kinderwunsch, dem sie nachgehen – und das ist gut so. Viele Frauen aber nicht, sie bleiben diffus in ihrem Wunsch. Meine Protagonistinnen haben dieses diffuse Gefühl ernst genommen, haben keine Kinder und sind erleichtert darüber. Nun kommen ihnen wie auf dem Berg der Versuchung aus der Bibel noch mal alle »Königreiche« greifbar nah. Mutterschaft, Ehe, Kernfamilie. Werden sie sich für den klassischen Weg entscheiden, wie es die Gesellschaft von ihnen erwartet? Ich wollte nicht das 1001ste Familiendrama schreiben, sondern vom weiblichen Begehren erzählen, vom Glück der Kinderlosigkeit in einer Gesellschaft, die auf Reproduktion ausgerichtet ist und in der Frauen als einsame Mängelwesen gelten und erst durch Karriere oder Kinder »jemand« werden (müssen). 

Mit dem Titel deines Buches »Das Gras auf unserer Seite« verdeutlichst du, dass das Gras nicht immer grüner auf der anderen Seite sein muss. Wie können wir, deiner Meinung nach, mehr für unser eigenes Lebenskonzept einstehen?

Der Roman spielt zum großen Teil in einem Schrebergarten, in dem meine Figuren Kessie, Grit und Charly sich ihr eigenes Paradies schaffen. Wie wir leben wollen, wissen wir oft, aber es fehlen auch die Vorbilder– auch in der Literatur. Meine Protagonistinnen „entwickeln“ sich nicht, sie rekapitulieren stattdessen ihren Lebensweg, befinden ihn für gut und versuchen den starren Erzählungen vom Glück der Kernfamilie etwas entgegenzusetzen. Dabei stellen sie fest, dass sie die großen Kämpfe bereits geführt und nicht nur überlebt, sondern für sich entschieden haben. Und das Erzählen dieser Geschichte hat sehr viel Freude gemacht. Ich hoffe, diese Freude überträgt sich beim Lesen. Dieser Roman soll glücklich machen. 

Das Gras auf unserer Seite

Mit unverwechselbarem Sound und großem Witz erzählt Stefanie de Velasco in ihrem neuen Roman von drei Frauen, die keine Lust auf das Lebensmodell haben, das für sie vorgesehen ist.

Kessie, Grit und Charly haben den Fortpflanzungsdrang ihrer Altersgenoss:innen seit jeher mit amüsierter Verwunderung beobachtet. Einen Kinderwunsch hat keine von ihnen je verspürt. Auch nicht das Bedürfnis, sich in eine monogame Paarbeziehung zurückzuziehen und nur noch als Wir durch die Welt zu laufen. Doch einige überraschende Ereignisse stellen nun, mit Mitte vierzig, noch einmal alles infrage: Charly, eine erfolglose Schauspielerin, bekommt ein Rollenangebot in einer anderen Stadt. Und stellt fest, dass sie schwanger ist – von wem, weiß sie nicht so genau. Grit fliegt aus ihrer WG und muss zu ihrem Freund ziehen, der sich das schon lang wünscht. Doch sie will ein Zimmer für sich allein, besser noch eine ganze Wohnung. Während ihr Freund auf der Suche nach ihrem zukünftigen Nest am Berliner Wohnungsmarkt verzweifelt, findet sie Zuflucht in einem Schrebergarten. Kessie kommt derweil ihrer Jugendliebe Nazim näher, als sie in die alte Heimat fährt, um ihre kranke Mutter im Pflegeheim einzugewöhnen. Der einzige Partner, der in den letzten Jahren an ihrer Seite war, war ihr Hund Pan. Jede der drei Frauen steht vor einer Entscheidung. Und die Gesellschaft scheint sehr genau zu wissen, wie sie ausfallen sollte.

Gebundene Ausgabe 23,00 €
E-Book 19,99 €

Stefanie de Velasco, geboren 1978 in Oberhausen, wuchs als Kind spanischer Einwanderer im Rheinland auf. Sie studierte Europäische Ethnologie in Bonn, Berlin und Warschau. 2013 erschien ihr Roman »Tigermilch«, der in zahlreiche Sprachen übersetzt und für das Kino verfilmt wurde. 2019 folgte »Kein Teil der Welt«, der von einer Kindheit ...

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