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Als Muslimin zerrissen zwischen Sicherheit und Freiheit - Ayla Işik über ihr Buch »BeHauptet«

Ayla Işik, 1982 in einer deutschen Kleinstadt geboren, stammt aus einer religiösen Familie. Bis zu ihrem 33. Lebensjahr praktizierte sie pflichtbewusst ihre Religion, den Islam. Als sie anfing, kritische Fragen zu stellen und Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen, begann eine schwierige Phase, die sie psychisch und physisch an ihre Grenzen brachte. Von ihrer Community ausgegrenzt, begann sie ein völlig neues Leben. Dies ist ihr erstes Buch.

Warum war es für Sie so wichtig, das Kopftuch abzulegen? 
Ayla Işik: Das Kopftuch stand zu keinem Zeitpunkt im Vordergrund. Der gesamte Prozess, bis es letzten Endes zu diesem Schritt kam, spielte für mich eine viel größere Rolle, in der das Kopftuch in seinen einzelnen Phasen immer einen anderen Stellenwert einnahm. Anfangs, als ich zum ersten Mal das Gefühl hatte, dass dem Kopftuch innerhalb der Community mehr Bedeutung zugesprochen wurde, als ich anfangs noch angenommen hatte, und es mit jeder kritischen Frage mehr und mehr zum unantastbaren Symbol der muslimischen Frau erklärt wurde, stand ich einem inneren Wertekonflikt gegenüber, den ich faktisch erst einmal gar nicht benennen konnte. Das Recht auf freiheitliche Gedanken und das Recht, Fragen zu stellen und Dinge anzuzweifeln, wurden plötzlich als Gefahr gesehen.

Was ist das Exemplarische an Ihrer Geschichte? Geht es immer ums Kopftuch? 
Ayla Işik: Im Kern geht es um Fremdbestimmung vs. Selbstbestimmung. Um den Konflikt zwischen dem Bedürfnis nach Sicherheit, das im Zusammenhang mit dem klassisch patriarchalen Religionsverständnis mitunter im Widerspruch zum Streben nach persönlicher Freiheit und Entfaltung steht. In meinem Fall ist die Tatsache, dass ich mit 33 Jahren plötzlich zum ersten Mal alleine war, bei Null anfangen musste und weder über eine abgeschlossene Ausbildung noch über eigenes Geld verfügte, das Exemplarische.
 

Wie lang hat es gedauert, sich in der »neuen Welt« zurechtzufinden, und was waren die größten Hürden? 
Ayla Işik: Die »neue Welt« ist bis heute eine nicht endende Reise. Die größten Hürden waren neben den praktischen essenziellen Alltagsproblemen wie Wohnung finden, Strom anmelden, Rechnungen bezahlen usw. vor allem die emotionalen: mit dem Alleinsein zurechtkommen, die Sehnsucht nach meinen Kindern annehmen und den Blick auf eine solide berufliche Zukunft richten. Gefühlt hält dieser Zustand, mich in der „neuen Welt“, besonders auf beruflicher Ebene zurechtzufinden, zum Teil noch an. Einzig die Regeln dieser Welt sind mit vertrauter geworden.

Sie sind Deutsche, hatten ständigen Kontakt zur außermuslimischen Welt und haben sich trotzdem der sehr strengen Community angepasst. Warum war die Anziehung so stark? 
Ayla Işik: Es war eine vertraute Welt. Eine Welt, deren Regeln und Umgangsweisen ich kannte. Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit war stärker als alles andere. Es fehlte der objektive Blick auf diese außermuslimische Welt, die weder mir noch anderen in meiner Community im Kern wirklich bekannt war.

Ihre Geschichte ist eine Emanzipationsgeschichte. Was verbindet Ihre Geschichte mit der von Frauen in anderen Abhängigkeitsstrukturen? 
Ayla Işik: Abhängigkeitsstrukturen existieren überall dort, wo Macht und Machtgefälle herrschen und Betroffene nicht in der Lage sind, das System dahinter zu sehen. Das verbindende Element ist wohl in allen Fällen die Hoffnung auf Besserung. Aber ohne eigenen Großeinsatz, der meistens erst einmal mit Verlust und/oder Leid verbunden ist, funktioniert kein Loskommen aus diesen Verhältnissen. Denn eine Abhängigkeit zu durchbrechen, bedeutet in erster Linie, auf großen Widerstand zu stoßen, der bei einem selbst beginnt und selten bei der Person/Struktur aufhört, von der die Abhängigkeit ausgeht. Meine Abhängigkeit war eine subtile, weil ich immer glaubte, sie gehöre zum Leben als Frau und Muslima dazu.

Sehen Sie sich immer noch als Muslima?
Ayla Işik: Ich bin heute Muslima, weil ich frei bin. Frei im Glauben, frei im Denken und frei im Fühlen. Eigentlich kann ich klar sagen, dass ich früher eine Regelmuslima war, während ich heute eine werteorientierte, ethisch konsequente Muslima bin, für die das religiöse Regelwerk ein Relikt vergangener Tage ist. Allerdings stelle ich dessen Wichtigkeit für viele Menschen nicht in Frage, aber für mein ganz persönliches Leben haben viele Regeln und Verbote keine Bedeutung mehr, vor allem die, die im Konflikt zu menschlichen und/oder zwischenmenschlichen Werten stehen. Glücklicherweise gibt es ein paar Regeln, die ich mehr der Kategorie „gute Empfehlungen“ zuordnen würde, wie z.B. Hygieneregeln, und glücklicherweise dienen sehr viele der islamischen Regeln und Empfehlungen im Kern dem friedlichen und respektvollen Miteinander. 
 

Rezensionsexemplare für Blogger*innen

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